„Das war ein Tag!“
Das war ein Tag, als ich nach Linz kam, um meine Stadtschreiber Wohnung in der Altstadt in Empfang zu nehmen! Was denkst du, was ich damals erlebte? Etwa die beglückende Freude, dass ich endlich die Ruhe haben werde, mich sorglos meinem Opus Magnum zu widmen, dessen Niederschreiben ich bisher aus mangelnder Zeit immer wieder hinausschieben musste?
Oder, denkst du, ich wäre womöglich bei der Betrachtung der schlichten, aber liebevoll eingerichteten Wohnung mit dem am Fenster stehenden Tisch gleich von einem gewaltigen schriftstellerischen Verlangen gepackt worden und ohne meine Koffer auszupacken aufs Schreiben gestürzt? Nein und wieder nein! Ich erlebte einen unwiderstehlichen Drang zum… Wie soll ich es dir sagen? Pass auf! Kaum warf ich einen flüchtigen Blick in die Wohnung, steckte ich mein Stadtschreiber Diplom in eine durchsichtige Hülle, nahm sie unter meinen Arm – als trüge ich sie unabsichtlich – und ging durch die Altstadt flanieren. Es waren doch ein paar Interviews mit mir im lokalen Fernsehen und in den „OÖ-Nachrichten“ erschienen, warum sollte mich mancher Linzer auf der Straße nicht wiedererkennen? Kurzum: ich war voll darauf aus, meinen offiziellen Stadtschreiber Status von der Welt draußen bestätigen zu lassen.
Nun ging es mir genauso wie einmal vor Jahren, als ich für eine Reise ans Meer in einen Flieger einstieg. Kaum hatte sich die Welt unter mir in eine milde Spielzeuglandschaft gewandelt, kaum empfing ich einen Hauch jener leicht perversen Freude, die ersehnte Unbegrenztheit mal endlich unter meinen Fußsohlen zu haben, da begann die Maschine kräftig zu schütteln. Da wünschte ich mir von ganzem Herzen, was eigentlich von einem Hirtensohn aus Siebenbürgen, dessen Ahnen und Vorahnen bis in die Dunkelheit der Vorgeschichte zurück lauter Hirten waren, zu erwarten war: dass die Maschine möglichst schnell wieder irgendwo auf festen Boden landet. Denn meine Füße – eine kleine Verlängerung in die Gegenwart der unendlichen Reihe der Hirtenfüße meiner Vorahnen – waren in ihrem Jahrtausendelangen Wandern auf steilen, steinigen, rutschigen Pfaden auf alles vorbereitet: von Dornen oder Bienen gestochen, ja sogar von einer Bärenpfote geritzt zu werden, aber nicht im Geringsten darauf, in himmlischen Höhen geschüttelt zu werden und rundherum kein Ast oder Fels zum Abstützen!
So ähnlich ging es mir bei der ersten Begegnung mit der Stadt. Mich würdigte keiner eines Blickes! Obwohl ich mir zum leichteren Erkennen eine verträumt-nachdenkliche Miene aufsetzte! Kaum war ich an der Straßenecke angelangt, stach mir dafür eine Tafel mit rot-weißem Fähnchen ins Auge, auf dem stand, dass dort M. seine „Linzer Symphonie“ komponierte. Eine Touristengruppe schoss davon Fotos.
Auf mein schon etwas höher Richtung Brust gerücktes Stadtschreiber Diplom schaute allerdings keiner.
Ich marschierte nun in Richtung zweier Kirchtürme, um ein bisschen Trost für meine angeschlagene Selbstachtung zu finden. Ich näherte mich dem Eingang: nur nicht schon wieder!
„Doch!“ schien sich die Marmortafel am Alten Dom in ein spöttisches Lachen zu breiten und drängte die Inschrift: „Hier wirkte B. 12 Jahre lang als Domorganist!“ vor meinem Auge.
Nun, das war mir Zuviel! Raus mit mir aus der Altstadt, aus diesem – für meinen hochstrebenden, schöpferischen Unternehmensgeist – verdammten Bermuda-Dreieck!
Ich begann schnellen Schrittes auf einen Hügel jenseits des Stadtrands zu zumarschieren, während sich in meinem Kopf diese Szene wiederholt durchspielte: die Rüge nämlich, die ich dem Bürgermeister beim ersten feierlichen Empfang verpassen werde. „Nein, Herr Bürgermeister, nein und wieder nein! Wie soll ich dieser undankbaren Stadt als offizieller Schriftsteller dienen, die sich zu meinem Empfang nicht einmal die Mühe gegeben hat, die Gedenktafeln entfernen zu lassen? Wenn mir aus allen Straßenecken allerlei überhebliche Meister mit herabwürdigendem Lächeln über die Schultern schauen? Nein! Ich will nicht mehr der Schriftsteller dieser Stadt sein, nein, ich gehe heim!“ Darauf vernahm ich in meiner Fantasie das verlegene Stottern des Bürgermeisters, dass dieser Fehler der zuständigen Beamten vom Denkmalamt zwar unverzeihlich sei, nur bittet er mich doch die Angelegenheit zu vergessen. Wie wäre es als Wiedergutmachung – selbstverständlich auf Stadtkosten – mit einem Wochenendaufenthalt am Attersee?…
Ich dürfte diese letzte Szene ziemlich lange genossen haben, denn ich befand mich schon auf einer Anhöhe, wo eine von einer Steinmauer umgebene Hofanlage mit Blumen und Sitzbänken vor mir lag. Ich ging durch das offene Tor, setzte mich auf eine Bank und betrachtete das fallende, bunt verfärbte Laub. Da stand ich wieder auf und ging entlang der Mauer. Plötzlich bemerkte ich da unten…
(Fortsetzung folgt).
Die Art wie der Goldie schreibt ist phantastisch, es zeigt auch an wie intelligent er ist und wieviel gefühl er in sich trägt, ich hab schon sehr sehr viel Bücher gelesen, eins von deinen Vater würde sicher den Horizont von mir und vielen anderen erstaunlich erweitern!