(Fortsetzung)
“Soll ich dir einen Kaffee machen?“
Ihr Vater schüttelt den Kopf nur, ohne zu ihr aufzublicken. Die Sache mit der Trennwand muss dem Zwuckopa schwer im Magen liegen, denkt sich die Tochter während sie die Teller in den Geschirrspüler einräumt.
Nun schmollt er. Klar, ihre Reaktion war heftig:
„Nein Papa! Nur über meine Leiche! Diese Wand bleibt ein für alle Mal hier!“
Was?! Hätte sie warten müssen, bis sie mit offenem Mund vor vollendeten Tatsachen steht, wie die Zwuckoma?
Nun schmollt ihr Vater, der Zwuckopa. Das ist gewöhnlich nur die erste Steigerungsstufe, wenn die Tochter, Iulia, die Zwuckmama sich ihm zu etwas widersetzt: das Schmollen! Dabei presst er mehrmals ganz kurz die Lippen zusammen und zieht sie zurück, als wollte er einen Zischlaut, ein „zisch“ oder ähnliches aussprechen. Obwohl nun kein Laut ausgestoßen wird, hört die Tochter dabei einen ganzen vorwurfsvollen Satz heraus:
„Kalt wie ein Reptil ist sie zu uns! Zisch!“
Denn so hat ihr Vater sie einmal bezeichnet. Klar, nun im Nachhinein betrachtet: sie hätte ihn damals umarmen, über die Haare streichen, tröstende Worte sagen müssen! Aber was kann man von einem pubertären Mädchen erwarten, wenn es nach Hause kommt und ihren Vater mit einem Ellenbogen auf die Bettkante gestützt ins Leere schauend sieht. Ihre Mutter hat ihr zwar ein SMS aus London, wo sie geschäftlich unterwegs war, geschickt:
„Der Opa ist gestorben. Sei lieb zu deinem Vater!“
Sie hat es auch versucht, als sie von der Schule nach Hause kam: hat sich langsam ihm genähert, leises zitterndes „Hallo“ zu ihm gesagt, er hat kurz zu ihr hinaufgeschaut, dann hat er aber den Blick wieder gesenkt, um weiter ins Leere zu schauen. Dass man dem trauernden Elternteil in solch einer Situation über das Haupt streichelt oder eng in die Arme umschließt, hat sie schon in manchem Film gesehen. Ja, es ist ihr diese Szene, wie sie nur einen Schritt weit vor ihrem Vater wie versteinert dastand, auch durch den Kopf geschossen. Doch konnte sie es einfach nicht! Weil diese plötzlich eingetretene Nähe des Todes ihr einfach graute. Eine kalte Decke schmiegte sich an sie an, je länger sie dastand, desto enger. Sie strengte sich an, an etwas anderes zu denken. Wie ihre Blicke auf dem gesenkten Kopf des Vaters ruhten, merkte sie verwundert etwas, was sie ein bisschen vom Unbehagen ablenkte: auf dessen Scheitelhöhe war keine Haut zu sehen! Sie hatte aber an eben jener Kopfstelle ein rundes Loch im Haar, das sie trotz verzweifelter Behandlung nicht zum Haarwuchs brachte. Beim Klassenturnen musste sie immer daran denken! Wie schade, dass sie Vaters dichtes Haar nicht geerbt hatte!
Einige Tage später, als ihre Mama zurück von der Geschäftsreise und ihr Vater vom Begräbnis aus Siebenbürgen kamen, geschah folgendes an einem Frühabend: sie saß an ihrem Schreibtisch und werkte an einer Mathe Hausaufgabe, ihre Eltern unterhielten sich leise in der Küche, zu der die Tür halb offenstand. Sie drehte sich mal kurz auf ihrem Drehsessel zur Tür, um ihre Mutter etwas zu fragen. In dem Moment erwischte sie den Gesichtsausdruck des Vaters mit zurückgezogenen Lippen und seine Kopfschwenkung in Richtung ihres Zimmers:
„Kalt wie ein Reptil ist sie zu uns! Zischt!“
Nun erwacht die Zwuckmama aus dieser trüben Erinnerung, weil sich aus der Wippe die hungrige Zwuckine meldet. Während sie mit ihr zur Treppe zum ersten Stock schreitet, um sie zu stillen, versucht sie noch einmal den Zwuckopa gütig zu stimmen.
„Du kannst noch bleiben, wenn du willst… auf dem Ofen steht eine frisch gebackene Lasagne…”
„Ich gehe jetzt. Ich muss sowieso bald den Zwuck vom Kindergarten abholen“ erwiderte der Vater weiter schmollend doch leicht zögerlich.
Die Zwuckmama war schon im oberen Stock dabei der Zwuckine mal die rechte, mal die linke Brust zu geben, denn sie konnte sich einfach nicht mehr erinnern, welche nun daran war, als es plötzlich an der Tür klingelt. Ausgerechnet jetzt denkt sie sich, will aufstehen als…
„Frau Magister, eine Ehre!“ vernimmt sie überrascht die Vaterstimme aus dem Erdgeschoß, der offensichtlich doch von ihrem kulinarischen Angebot Gebrauch gemacht hatte und länger geblieben war. Gott sei Dank, denkt sich die Tochter, dass Vaters Stolz von einer Portion frischer Lasagne wie Schnee in der Sonne schmolz, denn den Besuch von Tanja hatte sie vollkommen vergessen.
„Hallo Tanja, ich komme in fünf Minuten runter!“ rief Iulia vom ersten Stock zu ihr.
„Keine Eile“ erwiderte Tanja! „Dein Vater leistet mir eh Gesellschaft!“
Und daran, dass ihr Vater seine Rolle als Ersatzgastgeber ihrer Freundin glänzend absolvieren würde, hatte Iulia keinen Zweifel, hat sie doch Vaters Verwandlung des Öfteren erlebt, als ihre Freundin zu Besuch kam und er, der Zwuckopa, auch dabei war. Eine weitere Ähnlichkeit zu Tommy, dem Labrador drängte sich ihr wieder auf. Obwohl der Letztere mit elf Jahren graue Haare bei der Schnauze hat und von der linken Hüfte leicht hinkt, beginnt er – sobald die um ein paar Jahre jüngere Hündin Jossy sich beim Gassigehen nähert – in großen Kreisen wendig über die ganze Wiese zu galoppieren. Ersetze man „Schnauze“ mit „Schläfen“ und „Hüfte“ mit „Knie“, lässt sich diese Ähnlichkeit Rüde-Zwuckopa eins zu eins herstellen. Mit einem Unterschied, natürlich: der Zwuckopa ist galant! Er läuft bestimmt nicht um die Tanja im Kreis, eher wirkt er – wenn die Tochter die letzte Begegnung der beiden Revue passieren lässt – als ob in ihm etwas zu scheppern beginnt. Er führt zwar ganz normale Körperbewegungen aus, doch sie verraten, in Zeitlupe betrachtet, die unzähligen winzigen Standsprünge und Halbdrehungen, aus denen sie zusammengesetzt sind.
Nachdem er ihr die Tür öffnet und dem jungen Besuch je einen Kuss auf beide Wangen verpasst, hält er die Finger beider Hände „klammerförmig“ hoch in der Luft, als wollte er ihr beim Ablegen behilflich sein. Da es nichts abzulegen gibt, geleitet er sie ins Wohnzimmer, dicht hinterher folgend und mit aufgefalteten Handflächen, als wolle er Tanja stützen, sollte sie über etwas stolpern. Und da sie nicht stolpert, läuft er ihr dann voran, um den großen Fauteuil ein bisschen entgegen zu rücken. Doch am meisten machen Zwucksopas Augen eine radikale Verwandlung durch:
Wenn er vertieft liest oder schreibt scheinen sie matt und nach innen gerollt, ja ein bisschen unheimlich, wie die Statuen der antiken Philosophen in den Museen, in die die Eltern Iulia während der Sommerurlaube geschleppt hatten und an denen sie eigentlich vorbeischaute. In Anwesenheit der Freundin aber rollen seine Augen wieder vor bis fast zum Verschwinden der Augenlider.
Einmal hat die Zwuckmama ihre Mutter direkt gefragt, ob sie bei der offensichtlichen Schwäche ihres Vaters anderer Damen gegenüber, nicht eifersüchtig wird. Denn bei geselligen Anlässen, Partys oder Festen legte er dieselbe Verwandlung an den Tag, Wieso reagierte ihre Mama, die Goldioma überhaupt nicht?!
Sie machte auf die Frage ihrer Tochter nur große Augen: „Wer? „Fetiza“? (rum: kleines Mädchen). Der braucht doch das, das Anbandeln! Er ist sonst eh wetterempfindlich, der Arme…“.
Da fiel es der Tochter zum ersten Mal wie ein Schleier von den Augen, warum es in ihrer Familie das, wovon manche Freundin ihr schon in der Volksschule voller Kummer erzählte, nicht gab: die Eifersucht, der Zank der Eltern, der sich daran entzündet, die Entzweiungen!
Für ihre Mama war ihr Ehemann ebenso eine „Fetiza“, wie ihre eigene Tochter und wie, viele Jahre später, der Labrador Tommy sein wird. Ob Gatte, Tochter, Hund! Wurscht! Wir waren alle für sie hilfsbedürftige „fetiza“, über Alter, Geschlecht und Gattung hinweg. Wenn eine schwarze Wolke über das Familiendasein zog, kam das davon, wer gerade der Tochter im Schulfach geholfen hat, in dem sie gerade einen Fetzen geschrieben hat.
Gibt es so was, dass jemand auf dieser Welt nie eifersüchtig ist? Ist ihre Mama
aus dem Weltall hier auf die Erde gefallen? Bei diesem komischen Gedanken, schmunzelte Iulia in sich hinein. Denn da kam ihr die Geschichte von der Verführung des Hirtensohns Anchises durch die Göttin Aphrodite in den Sinn! Der Mythos wird gerne vom Zwuckopa erzählt, wenn die Rede davonkommt, wie er die Goldioma kennengelernt hatte.
Es ist ihm, dem Hirtensohn aus Transsilvanien nicht anders gegangen als dem Hirtensohn auf dem griechischen Ida, wie Homer das in einem seiner Hymnen erzählt. Es war ihm, dem Philosophiestudenten, damals in den Jugendjahren nicht danach, sich auf eine neue Beziehung einzulassen, er wollte ins Bukarester Konzerthaus nach einer schweren Prüfung, einfach klassische Musik hören. Ebenso wenig war es ihm, dem Hirtenjungen Anchises danach: nachdem er in der Dämmerung die Kühe ins Gehege getrieben hatte und eine nach der anderen molk, war er gerade dabei die Flöte an seine Lippen zu bringen, um etwas zu spielen, bis das Fleischgericht auf dem offenen Feuer vor der Holzhütte fertig gegart war.
Es kam aber nicht dazu, denn er erblickte plötzlich am Horizont wie eine lichtumrahmte Gestalt gerade, schnell wie im Flug, auf ihn zulief.
Er sprang auf die Beine, warf die Flöte weg und packte seine Lanze! Doch vor ihm stand nun eine zarte Schönheit, die sich gleich an ihn wandte: Sie sei eine Königstochter, habe sich auf der Jagd nach einem Hirsch zu weit von dem königlichen Zug entfernt und sich verlaufen. Nun da es dunkel wurde, könnte sie vielleicht bei ihm in der Hütte übernachten? …
👍🏼 Ein so schöner Text. Am liebsten würde man direkt weiterlesen ☺️
Lieber Goldieopa,
mal wieder hast Du einen wunderschönen Text verfasst. Man taucht richtig mit ein und fühlt sich, als wär man selbst mit dabei gewesen. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung 😊
Wunderschön!!! Man ist fast traurig am Ende des Textes weil’s auf einmal aufhört ♥️
Grandios ❤️
Goldieopa und Iulia ihr habt ein wunderbares Talent. 😉😍 Iulia,bitte mach als Schriftstellerin weiter und laß den Goldieopa,so lange wie möglich Deinen Co-Autor sein. 😘
Ich liebe alle Mitglieder der Zwuckfamilie !
😍😘😍😘😍😘😍😘😍😘😍😘😍😘😍😘😍
Wow vielen lieben Dank!!! Ich bin gerade etwas baff 🙊❤️