Die Donau ist ein Mädchenbein

Als ich weiter gehen wollte, brachte der Anblick der Donau meine Schritte wieder zum Stillstand. Von dieser Anhöhe schien ihre glatte und von unsichtbaren Strömungen leicht pulsierende Oberfläche an so etwas zu erinnern, wie an ein… geschmeidiges Mädchenbein! Oder eher wie an eine zappelige Taube!? Nein, vielleicht an ein Bein, das etwas von einer leicht zitternden Taube hatte! Seltsam genug, ich weiß! Am nebeligen Horizont trat der Fluss hinter einem Hügelhang hervor, wie der seidene Fuß unter dem Rocksaum einer Schuluniform!

Weiter stromabwärts wuchs dann die Donau zu einer anschmiegsamen, spindelförmigen Gestalt heran, um dann wieder leicht schmaler zu werden und unterhalb einer Brücke zu verschwinden: wie in einem Mädchenschuh!

Ein Bein, das etwas von einer zarten Taube hat! Hm… Ich weiß jetzt! Es ist doch das von Olga, meiner Schulkollegin aus der Parallelklasse, der 3B; die Tochter des neu installierten Polizisten aus meinem Geburtsort.

So wie sie im Schulhof in der Unterrichtspause mit anderen Mädchen in einem Kreis tratschend stand, stellte sie den rechten Fuß dicht hinter den linken, so dass ihre Beine zu einem einzigen verschmolzen. Ich fand mich dabei wie zufällig irgendwo hinter ihr, angeblich damit beschäftigt, einen Ball möglichst lang auf einem Fuß zu balancieren. Ihr doppeltverflochtenes Bein von ihren Schuhen hinauf bis zu ihrem Rocksaum, kam mir wie eine soeben vor mir gelandete Taube vor, deren leichtes Atmen ich schon in meinen Blicken spürte. Hätte ich nicht befürchtet, dass die anderen Schulkameraden meinen Blick dabei ertappen und sich über mich lustig machen würden, hätte ich meinen Blick davon nicht mehr gelöst.

Doch einem von ihnen ist das nicht unbemerkt geblieben! Plötzlich lag ich rückwärts der Länge nach auf dem Zementboden des Schulhofes. In der Annahme, dass ich beim Hüpfen mit dem Fußball über etwas hinter mir gestolpert war, versuchte ich mich rasch wieder aufzurichten. Ich nötigte mir sogar ein breites Lächeln ab, als ob da nichts gewesen wäre. Doch mein Hinterkopf hämmerte vom Aufschlag auf den harten Boden und ich musste auf den Ellbogen gestützt liegen bleiben. Ich schaute mich um: kein Stück Holz, kein Ziegelstein, nichts lag da, an dem ich hätte stolpern können! Ein paar Meter hinter mir war nur Colin, der Sohn des Gemeindearztes und mein bester Freund, der damit beschäftigt war, Würfe in den Basketballkorb zu erzielen. Ein Licht ging in mir auf: Er muss es gewesen sein, der sich von hinten an mich herangeschlichen und mir bei einem rückwärts Schritte ein Bein gestellt hatte!

 

Es folgte eine schlimme Rauferei und vorbei war es mit unserer Freundschaft bis an dem Tag, als ich in den Sommerferien von einem zweiwöchigen Aufenthalt bei meinen Großeltern heim kam und das Haus von Olga leer stand. Ihr Vater wurde in ein anderes Landeck transferiert, wie üblich bei den Staatsbedienstete damals. Niemand wusste wohin. Mit Colin bin ich heute noch befreundet, Olga habe ich dafür seitdem nicht mehr gesehen. Nur flüchtige Spiegelungen von ihrem zarten Geschöpf melden sich manchmal wie aus dem Nichts wieder. Als ob sich bei ihrem Verschwinden aus meiner Kindheit zarte Blütenblätter von ihr abgelöst hätten, die der Wind der Zeitlichkeit überall in die Welt treibt, wo auch immer ich gerade unterwegs bin.

 

Ich begann wieder den Hügel hinab Richtung Stadt zu gehen und überraschte mich dabei selbst. Ich schmunzelte! Wieso? Die gerade gehabte Erinnerung war doch düster! Ich lag damals beschämt am Schulhof. Mein Kopf brummte und schmerzhaft war die ohnmächtige Wut, es Colin nicht gleich heimzahlen zu können. Doch jemand hatte sich gerade zu mir gebückt und fuhr mit den Fingern durch mein Haar am Hinterkopf auf der Suche nach einer möglichen Beule. Ich erkannte die Stimme von Olga: „Nichts! Kein Wunder bei dem dichten Haar! Lockig wie das meines Pudels!“

 

Kommentar verfassen