Hund und Kind und Weltatem!

„Sie haben zwei Schoko Labradore, oder?!“

Iulia spitzt die Ohren! Sie ist oben in der Küche von „Omaopa“ – wie Zwuck in einem einzigen Wort seine Großeltern nennt – im ersten Stock und gerade dabei sich ein Frühstück zuzubereiten. Sie hat Schinken, Käse und Milch von einem Feinkostgeschäft mitgebracht.

Denn, wenn sie den Kühlschrank bei ihrer Eltern öffnet – gähnende Leere!  Da stehen höchstens ein paar Joghurts und runzelige Karotten.

Es ist wie der Anblick durch das runde Fenster aus dem Flugzeug beim Start gewesen: auf einer pannonische Puszta stehen zwei gottvergessene, grasender Pferde und die Silhouette eines Brunnens mit Schwingbaum, sonst nichts, soweit das Auge reicht.

Iulia schreitet zum Türfenster: am Gartenzaun ist ein Ehepaar stehengeblieben, das erst vor einigen Wochen in ein Reihenhaus ums Eck eingezogen ist und sich einen Dackel zugelegt hatte.

„Wir dachten, sie haben zwei Hunde derselben Rasse…“

„Nein, nur ihn, den Tommy, wieso?“ erwidert der Zwuckopa schmunzelnd, der auf einem Sessel in der milden Herbstsonne sitzt.

„Dass er so ruhig an ihren Füßen liegt! Bisher habe ich ihn nur mit Ihrer Frau gesehen. Da bellt er uns an und springt herum, wie vom einem wilden Affen gebissen, wenn wir vorbei gehen.“

 

Irgendwie stimmt die Unterhaltung ihres Papas mit den Nachbarn Iulia nachdenklich. Denn es fällt ihr nun eine ähnlich klingende Frage ein, diesmal an sie selbst gerichtet und nicht im Bezug auf Tommy, sondern auf ihren Sohn Zwuck. Es war nur ein paar Tage zuvor, als sie mit dem laut raunzenden Zwuck an der Hand zur Kassa einer in der Nähe liegende Tankstelle trat.

Er wollte einen Schlecker, dann einen Saft, dann wieder Bonbons, dann noch Schnitten usw. Und da er die Schnitten schon in der Hand hatte, musste sie seine Faust mit Gewalt öffnen, um sie wieder zu ihrem Platz im Regal zurückzustellen.

„Hallo Zwuck! Was ist denn los?! Mit deinem Opa bist du doch so brav!“, sprach ihn die Tankstellenverkäuferin direkt an.

„Ist das Zwuck? Oder dessen Zwillingsbruder?!“, wandte sie sich dann an sie, und in ihrem fragenden Blick war keine Spur von Scherz!

Nun, indem sie sich die Szene in der Tankstelle vergegenwärtigte, spürte sie etwas von dem damals erlebten Unbehagen. Nun kann sie nicht umhin, als sich selbst zu fragen: verwöhnt sie ihren Sohn, eben wie Oma den Labrador Tommy? Früher, missfiel ihr selbst so ein Benehmen bei anderen Kleinkinder. Sicher, damals hatte sie keine Kinder.

 

In dem Moment geht Tommy zum Fressnapf und schlürft geräuschvoll das Wasser!

„Da sehen Sie warum… Der Hund spürt, dass er mit einem Hirtensohn zu tun hat!

Und wenn er mit meiner Frau ist spürt er, dass er mit einer Diplomatentochter zu tun hat.

Fester Erdboden seit jeher unter den Füßen meiner Vorahnen einerseits, rutschiges Parkett unter den Füßen ihrer Vorahnen andererseits! Es ist ganz einfach! In meiner Stimme erkennt Tommy denselben Ton meiner von Wachhunden begleiteten Vorfahren: kumpelhaft, aber bestimmt.

Aber bei meiner Frau! Beim Frühstück bekommt er schon ein fünfgängiges Menü mit allerlei vitaminreichen Nahrungsergänzungsmitteln in sorgfältig beigemischten Mengen! Dann wird er gekämmt, gekrault und bekommt allerlei Liebkosungen! Der arme Hund ist aus dem Konzept! Nicht verwunderlich, dass er sich für den höchsten Punkt der Lebenspyramide hält!

 

Iulia entfernt sich vom Fassadenfenster und geht zurück in die Küche. Was ihr Vater da unten den Nachbarn weiter erzählt, weiß sie schon. Denn ihr dreijähriger Zwuck hat sein Gesicht gegen die Fensterscheibe gequetscht, bis die Nasenspitze und der Mund sich derart ausbreiten, dass sie zu einer Art Kuhgesicht wird. Zumindest so etwas sah einmal darin der Zwuckopa und er, der Zwuck hat sich das gemerkt.

„Muuh!“ stößt er dabei aus!

Eh klar! Der Opa hat bestimmt das Thema Sommerferien in Transsilvanien in seinem Elternhaus angeschnitten. Dahin sollte man nächsten Sommer fahren und nicht ans Mittelmeer, wie alle anderen aus der Zwuckfamilie eigentlich wollen.

Der Zwuckopa würde dem Zwuck und dessen Eltern beibringen, wie man die Kühe melkt, sie auf die Weide zum Grasen treibt und in der Nacht einfach auf einem Betttuch im Heuboden schläft. Dem „Weltatem“ zuhorchen! Ihm teilhaftig werden! Von klein auf! Denn so „erdet“ man sich; ein Hund oder ein Kleinkind spürt es gleich, ob jemand geerdet ist oder nicht!

So ist ihr Papa, denkt sich Iulia: Wenn es darum geht, eine Stelle aus dem lateinischen Originaltext zu entziffern, blättert er wie angewurzelt nach vorne gebeugt im Stehen in Lexika, nur um – Gott behüte – nicht auf etwas voreilig zu schließen.

Wenn es aber um alltägliche Fragen wie Erziehung geht, verfällt er gleich in solch urig-naive Vorstellungen, die seiner ungestillten Nostalgie nach der glücklichen Kindheit in seinem siebenbürgischen Dorf entsprungen sind.

Das kann sie ihm so nicht sagen, denn womöglich würde er ihr erwidern:

„Wenn es so ist, warum sind Tommy und Zwuck mit mir brav und mit euch nicht?!“

Und das kann sie sich selbst beim besten Willen nicht erklären!

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